Jeder meint es zu wissen: Ein ganz triftiger Grund für den ÄrztInnenmangel ist vor allem auch die sofortige Abwanderung von MedizinerInnen nach dem Studienabschluss. Wenn nicht ganz ins Ausland, dann zumindest in die großen Städte und attraktiven Regionen im Süden.

Ich studiere in Thüringen, und im ersten Semester dachte ich noch, als MedizinstudentIn mit sozialem Verantwortungsbewusstsein müsse man nach dem Studium definitiv in diesem Medizin-unterversorgten Bundesland bleiben, am besten gleich noch HausärztIn dort werden – schlicht und ergreifend, weil viele meiner KommilitonInnen flüchten würden: Hin in die schöneren, größeren, interessanteren und lukrativeren Städte. Ich lag völlig falsch.

Jetzt sind sechs Jahre vergangen, und mein Medizinstudienjahrgang hat sich zu 90% für eine Stelle in Thüringen entschieden. Eine großartige Nachricht für das Erfurter Sozialministerium, denn minimale Verbesserungen der ärztlichen Weiterbildungsbedingungen, Gehälter und Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben anscheinend ausgereicht, um Thüringer Krankenhäuser wieder maximal attraktiv zu machen für Thüringer ÄrztInnen.

Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich nicht auf alle anderen unterversorgten Regionen Deutschlands übertragen, sie sind auch nicht alle uneingeschränkt zu begrüßen, aber sie tragen vielleicht dazu bei besser zu verstehen, wie ÄrztInnen in unterversorgten Regionen gehalten werden können, unabhängig von den Faktoren Arbeitsbedingungen, Gehalt und der Attraktivität der Städte.

  1. “Ich bin gebunden.” Ein Medizinstudium dauert mit sechseinhalb Jahren deutlich länger als andere Studiengänge. Viele MedizinerInnen sind mit KommilitonInnen anderer Fachrichtungen liiert, welche meist schon eine feste Stelle haben, wenn die/der MedizinerIn in der Beziehung mit dem Studium fertig wird. Meist bleiben dann beide einfach vor Ort. Und da haben wir noch nicht von jenen gesprochen, die bereits Kinder haben…Deswegen gilt tendenziell: Umso älter beim Studienabschluss, umso eher bleibt sie oder er vor Ort (darauf setzen inzwischen auch amerikanische Medical Schools).
  2. “Hier ist es schön.” Ein nicht zu unterschätzender Faktor: Der große Anteil an AbsolventInnen, die in Thüringen bleiben, ist auch darauf zurückzuführen, dass diese aus Thüringen kommen, zum Studieren in Thüringen blieben und jetzt: Immer noch nicht weg wollen. Das heißt nicht, dass sie keine Auslandsaufenthalte hinter sich hätten oder dass sie die Arbeitsbedingungen in anderen Bundesländern nicht kennen würden, aber sie sind einfach sehr heimatverbunden. Als in Mecklenburg-Vorpommern für die dortigen medizinischen Fakultäten eine “Landeskinderquote” für die Zulassung zum Medizinstudium nachgedacht wurde, zielte dies genau auf diesen Effekt ab. Während die Quote zu Recht deutlich kritisiert wurde, wird man sich an der Uni Jena in Zukunft vielleicht überlegen, ob man wirklich so viele Studienanfänger aus anderen Bundesländern aktiv anwerben will.
  3. “Ich will keine Forschung machen.” Für AbsolventInnen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, ist es meist unabwendbar, nach dem Examen in eine größere Uniklinik außerhalb Thüringens zu gehen, wenn nicht sogar ins Ausland. Für AbsolventInnen hingegen, die keine wissenschaftliche Karriere anstreben, entfällt dieser Zwang. Wer ÄrztInnen im Bundesland halten möchte, sollte also auch nicht unbedingt jene StudienanfängerInnen suchen, die sich eine wissenschaftliche Karriere vorstellen können.

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