Lösungsansätze für den zusammenbrechenden Versicherungsmarkt der medizinischen Haftpflicht

Die aktuelle Lage

In den letzten Monaten war viel von den Problemen der Hebammen zu hören – massiv steigende Prämien ihrer Berufshaftpflichtversicherung haben dazu geführt, dass viele freischaffende Hebammen mit relativ wenig betreuten Geburten nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Vor einem Monat wurde dann die vorläufige Lösung aus dem Bundesgesundheitsministerium präsentiert: Die gesetzlichen Krankenkassen werden für knapp ein Jahr bis Juni 2015 die gesteigerten Kosten übernehmen. In diesem Zeitraum soll eine nachhaltige Lösung für die Zukunft ausgearbeitet werden – wie diese aussehen soll, bleibt jedoch vorerst unklar.

Es war vorhersehbar, dass die freischaffenden Hebammen außerhalb der Kliniken als erste Berufsgruppe durch steigende Berufshaftpflichtprämien vom finanziellen Aus bedroht sein würden: Der Bereich der Geburtshilfe und Pränataldiagnostik gehört zu den risikoreichsten Gebieten der medizinischen Versorgung – hier werden Geschädigten von den Gerichten die höchsten Schadenssummen zugesprochen. Gleichzeitig sind Hebammen in der Geburtshilfe der Beruf mit dem geringsten Einkommen – bei Löhnen zwischen 1200 und 2100 Euro brutto pro Monat ist eine sprunghaft steigende, inzwischen über 5000 Euro pro Jahr betragende Berufshaftpflichtprämie nicht einfach zu erwirtschaften.

Doch die Hebammen stehen nicht allein vor diesem Problem: FrauenärztInnen, die außerhalb des Krankenhauses geburtshilflich tätig werden, beispielsweise als BelegärztInnen, zahlen Prämien weit über 50 000 Euro pro Jahr, ähnlich sprunghaft steigend. Auch Humangenetik und Pränataldiagnostik lassen sich ambulant nur noch durch extrem hohe Prämien mit einer Berufshaftpflicht absichern. Aber nicht nur der ambulante Sektor ist betroffen: Auch immer mehr Krankenhäuser finden kaum noch Möglichkeiten, eine Betriebshaftpflicht für ihre Klinik abzuschließen – auch dort sind jene Häuser am stärksten betroffen, die riskantere Abteilungen wie Geburtshilfe oder Chirurgie betreiben.

Worin sind all diese Probleme begründet?

Die aktuell deutliche Verschärfung ist begründet in einem Zusammentreffen zweier unvorteilhafter Entwicklungen für die Versicherer: Einerseits steigen die Schadenssummen massiv an, eine Entwicklung, die anhält und für die Versicherer kaum kalkulierbar ist. Andererseits herrscht im Versicherungsmarkt ein seit einigen Jahren deutlich verschärfter Wettbewerbsdruck, in dem überdurchschnittlich riskante, schlecht kalkulierbare Bereiche geschlossen werden und damit die Zahl der Anbieter massiv sinkt – es ist im Gesundheitswesen nicht selten, dass nur noch ein Versicherer überhaupt eine Haftpflichtversicherung anbietet.

Was wären mögliche Lösungsansätze?

1 Hochriskante Behandlungen könnten nur noch in Krankenhäusern erbracht werden
Da alle Angestellten einer Klinik über ihr Haus abgesichert sind, sind dort hochriskante Behandlungen leichter versicherbar als beispielsweise für die einzelne Hebamme. Zusätzlich greift im Krankenhaus auch in gewisser Form ein Solidarprinzip, da die Police für die gesamte Klinik gewährleistet, dass weniger riskante Bereiche wie Innere Medizin die Kosten beispielsweise der Geburtshilfe mittragen. Geburtshäuser müssten gegebenenfalls als Einrichtungen von Krankenhäusern betrieben werden, ambulant tätige Hebammen könnten ebenfalls über die Kliniken angestellt werden.

2 Eine Umlage des erhöhten Risikos auf den Preis
Ein Mechanismus, der in vielen anderen Wirtschaftsbereichen angewandt wird: Höhere Haftpflichtpolicen werden auf den Preis umgelegt. Dies ist im Gesundheitssystem jedoch nur teilweise umsetzbar, denn die Preise werden zentral verhandelt und im Voraus festgelegt. Da der politische Druck wie aktuell im Fall der freiberuflichen Hebammen auf die gesetzlichen Krankenkassen sehr hoch ist, diese Kosten voll zu übernehmen besteht das Risiko, dass die privaten Anbieter der Haftpflichtpolicen dies ausnutzen um immer höher anberaumte Prämien durch die gesetzliche Krankenversicherung erstatten zu lassen. Aus diesem Grund ist es gut, dass dieser Weg vom Bundesgesundheitsministerium vorerst nur als Zwischenlösung bis zum Juni 2015 vereinbart wurde.

3 Begrenzungen der möglichen Schadenssummen
Um eine der beiden Hauptursachen der aktuellen Krise abzumildern wäre eine Begrenzung der Schadenssummen theoretisch denkbar. Diese sind in den vergangenen Jahren jedoch nicht nur aufgrund patientenfreundlicherer Gesetzgebung gestiegen, sondern auch aufgrund präziserer Schadenskalkulationen der Gerichte und einer gesteigerten Lebenserwartung der Geschädigten. Eine Beschneidung wäre immer auch eine Beschneidung der Rechte von Geschädigten. Eine ähnlich gelagerte Forderung, wie sie aktuell auch aus dem Bundesgesundheitsministerium als langfristige Lösung vorgeschlagen wird, ist der Verzicht der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf ihre Regressforderungen gegenüber den privaten Haftpflichtversicherern bei Schadensfällen an ihren Versicherten. Damit entfiele zwar Kostendruck für die Haftpflichtversicherungen, KritikerInnen bemängeln jedoch zu Recht, dass die gesetzlichen Sozialkassen eigentlich nicht die Folgen medizinischer Behandlungsfehler bezahlen sollten.

4 Eine solidarische Haftpflichtversicherung – für alle Gesundheitsberufe und alle Kliniken
Was im einzelnen Krankenhaus bereits funktioniert – weniger riskante Abteilungen finanzieren die höheren Risiken der Geburtshilfe mit ab – könnte auch auf höherer Ebene funktionieren: Wenn die Versicherungsunternehmen ihre Policen nicht mehr für die einzelnen Gesundheitsberufe getrennt kalkulieren würden, mit resultierend massiven Unterschieden zwischen Hausarzt und Gynäkologin, Hebamme und Physiotherapeutin, sondern diese gemeinsam alle Risiken tragen würden, mit Ausnahme der kosmetisch-ästhetischen Medizin. Mit einem solchen Ansatz wäre für alle Kliniken und im Gesundheitsbereich Tätigen eine deutlich stabilere Beitragsentwicklung ihrer Haftpflichtversicherungen möglich. Letztlich dürfte die politische Akzeptanz einer solchen Regelung relativ hoch sein, da jedeR Beschäftige im Gesundheitswesen ein Interesse daran hat, dass ein kompletter Fachbereich wie die Geburtshilfe nicht massiv unterversorgt wird und die Beitragssteigerungen vergleichsweise gering ausfallen würden. Zusätzlich wären aber weiterhin Anreize zur Risikominimierung insbesondere für die Kliniken gegeben.

5 Ein staatlicher Fonds für alle Geschädigten medizinischer Behandlung
Wenn ein Versicherungsmarkt für ein bestimmtes Risiko zusammenbricht oder aber gar nicht erst entsteht, ertönt oft der Ruf nach einem staatlichen Fonds: So auch im Fall der medizinischen Behandlungsfehler. Ein solcher Fond wäre aber nicht nur teuer, er würde das aktuell relativ hohe Risikobewusstsein der Behandelnden, die bei einem persönlich verschuldeten Schaden mit deutlich höheren Prämien rechnen müssen, mit hoher Wahrscheinlichkeit verringern. V.a. auch die Kliniken, die aktuell kaum flächendeckend politisch zu strukturierter Qualitätssicherung gezwungen werden können, werden durch ihre Haftpflichtversicherer dazu verpflichtet. Dieser Mechanismus der Qualitätssteigerung an Kliniken würde durch einen staatlichen Fonds quasi aufgegeben. Positiv hingegen könnte gewertet werden, dass ein Fonds anders als private Versicherer keinen Gewinn erwirtschaften müsste und damit die Kosten für die Allgemeinheit unter Umständen niedriger ausfallen würden.

6 Übernahme medizinischer Behandlungsfehler durch die gesetzliche Unfallversicherung
Franz Knieps, Vorstand des Dachverbands der Betriebskrankenkassen, hat kürzlich vorgeschlagen, die Schadenssummen nach medizinischem Behandlungsfehler aus der allein durch Arbeitgeber-Beiträge finanzierten gesetzliche Unfallversicherung zu bezahlen. Insgesamt dürfte dieser Ansatz jedoch zu steigenden Beiträgen in die gesetzliche Unfallversicherung und aus diesem Grund zu massivem Protest der ArbeitgeberInnen gegen diesen Vorschlag führen. Die politische Umsetzbarkeit tendiert damit gegen Null.

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