Vor einem knappen Jahr saß ich in Zwickau und sprach mit knapp 30 Menschen vor Ort über die Notwendigkeit von Impfungen. Im Publikum waren zahlreiche Impfgegner_innen. Die Covid-Impfstoffe waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht greifbar und deswegen konzentrierte sich das Gespräch auf die neue Masern-Impfpflicht: Seit März 2020 ist es Pflicht, sein Kind gegen Masern impfen zu lassen. Wer sein Kind zum Beispiel in Zwickau ohne Masernimpfung in die Schule schickt, muss jährlich knapp 2500 Euro Strafe zahlen. Und tatsächlich sagte vor diesem Hintergrund eine mittelalte Frau in der zweiten Reihe an diesem Abend, nachdem sie zwei Stunden vehement gegen Impfungen argumentiert hatte: „Dann habe ich mein Kind doch gegen Masern impfen lassen. Ich will ja in Deutschland wohnen bleiben.“

An diese Szene muss ich immer wieder denken, wenn wir jetzt wieder über eine Covid-Impfpflicht sprechen. In vielen einkommensstarken Ländern zeigt sich aktuell der Effekt, dass es viel einfacher ist, die erste Hälfte der Bevölkerung zu impfen und die Probleme mit der zweiten Hälfte erst so richtig beginnen. Pünktlich zum Erreichen dieser kritischen Impfrate von knapp 50% und dem damit verbundenen Abebben des täglichen Impf-Fortschritts beginnt nun auch bei uns die Diskussion, ob wir

  • eine allgemeine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung oder einzelne Berufsgruppen benötigen
  • COVID-Tests für ungeimpfte ab sofort kostenpflichtig gestalten sollten

Ich möchte im Folgenden versuchen, ein bisschen Ordnung in diese Debatten zu bringen. Allen diesen Debatten ist gemein, dass sie einmal mehr Komplexität reduzieren wollen, indem sie sich auf jeweils eine Maßnahme stürzen, obwohl wir eher einen ganzen Strauß an zusätzlichen Maßnahmen für die unterschiedlichen Zielgruppen bräuchten, um eine erneute massive Belastung der Bevölkerung durch eine hohe Corona-Krankheitslast im Herbst und Winter unwahrscheinlich zu machen. Was definitiv nicht reicht: Wie der sächsische Ministerpräsident einfach an die Eigenverantwortung von Menschen zu appellieren und die Existenz von Fake News zu beklagen.

Wir wissen, dass unterschiedliche Motive existieren, warum sich Menschen nicht für eine Impfung entscheiden: Vereinfach gesprochen sind es neben dem harten Kern der verhärteten Impfgegner_innen die, die Zweifel an Wirksamkeit und Sicherheit der Impfung haben; die, die ihr persönliches Erkrankungsrisiko als zu niedrig einschätzen und eine Gruppe, die aus Bequemlichkeit bzw. des wahrgenommenen zu großen Aufwands für eine Impfung aktuell keine Impfung anstrebt. Auf diese unterschiedlichen Beweggründe muss jede Impfkampagne eingehen, wenn sie möglichst viele sich ergänzende Verbesserungen der Impfbereitschaft erreichen will. Unabhängig von den aktuellen Diskussionen auf Bundesebene kämen beispielsweise folgende, vermutlich unstrittige Punkte für Sachsen in den Sinn:

1. Noch vor wenigen Wochen mit großer Entrüstung bestritten ist jetzt klar, dass die Impfzentren aktuell die relevanten Bevölkerungsgruppen kaum noch erreichen und ihre Auslastung sinkt. Die Impfangebote der nächsten Wochen müssen deutlich barriereärmer und bequemer für Menschen erreichbar sein – über die mobilen Impfteams hinaus. Das bedeutet auch, dass ein erneuter Vorstoß für mehr Impfungen bei Hausärztinnen und Hausärzten erfolgen muss. Aufgrund des administrativen Aufwands und einer zunehmend geringen Eigeninitiative der Patient_innen muss hier darüber nachgedacht werden, ob Ärzt_innen zum Beispiel im Rahmen von Hausarztverträgen o.ä. Anreize für eine möglichst hohe Impfrate ihrer Patient_innen und proaktive Impfangebote erhalten sollten. Dies erscheint gerade auch vor dem Hintergrund der großen Unterschiede der impfenden Praxen im Freistaat notwendig.

2. In Sachsen ist der Anteil sogenannter „Genesener“ mit knapp 7% vergleichsweise hoch. Eine durchgemachte Corona-Infektion schützt aber im Schnitt nicht ähnlich gut vor einer erneuten Ansteckung wie eine Infektion plus anschließende Impfung. Deswegen müssen die diesbezüglichen Informations-Kampagnen deutlich ausgeweitet werden.

3. Sachsen muss sich deutlicher stärker als mit warmen Worten dem Kampf gegen Fake News bezüglich der Covid-Impfstoffe verschreiben: Dazu gehören deutlich wirksamere Öffentlichkeitskampagnen als bislang, die auch auf die besonderen regionalen Umstände in Regionen mit besonders niedriger Impfquote in Sachsen eingehen. Zahlreiche Vorurteile über die aktuell verfügbaren Covid-Impfstoffe wurden teilweise auch durch suboptimale Kommunikation politischer Entscheider_innen in den vergangenen Monaten verstärkt. Ein gesteigerter Fokus auf das Beseitigen dieser Voruteile wäre eine zumutbare Verantwortungsübernahme für diese eigenen Fehler.

Neben diesen Maßnahmen gibt es noch die, die jetzt kontrovers diskutiert werden:

Die Impfpflicht für alle

In der aktuellen Debatte wird oft vergessen, dass auch in der alten Bundesrepublik Impfpflichten verfassungsgemäß waren, konkret beispielsweise gegen Pocken, und dass aktuell auch eine Impfpflicht gegen Masern besteht. Das Ganze ist immer, vereinfacht gesagt, eine Frage der Verhältnismäßigkeit: Ist die Erkrankung schlimm genug und die Risiken der Impfung klein genug, dann ist eine Impfpflicht durchaus unter bestimmten Bedingungen denkbar. Sind diese Bedingungen aktuell bezüglich Covid19 erfüllt? Darüber kann man streiten. Aber wir sollten alles dafür tun, dass sie nicht durch eine erneut sehr hohe Krankheitslast im Herbst oder Winter verhältnismäßig wird. Wer die Impfpflicht wirklich verhindern will, wer sein Versprechen, dass es keine Impfpflicht geben wird, wirklich halten will, der muss jetzt eine Vielzahl alternativer Maßnahmen zur Steigerung der Impfbereitschaft anpacken.

Kostenpflichtige Coronatests für Ungeimpfte

Es gibt zahlreiche Hinweise, dass für bestimmte Bevölkerungsgruppen finanzielle Anreize deutliche Unterschiede in der Impfbereitschaft erzeugen können. Eine ausführliche Auswertung gibt es beispielsweise für die Regelung der australischen Regierung, die u.a. die Kinderfreibeträge an einen vollständigen Impfstatus des Kindes koppelte und Steigerungen der Impfraten erzielen konnte.

Diese finanziellen Anreize bzw. Strafen wirken nicht in allen Bevölkerungsgruppen gleich: Sie erreichen potentiell stärker Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem Haushaltseinkommen. Der Kern der verhärteten Impfgegner_innen wird eher nicht erreicht. Für die aktuelle Covid-Situation in Sachsen sollte vermieden werden, dass dadurch bspw. Menschen mit Symptomen nicht mehr getestet werden, weswegen eine Eingrenzung kostenpflichtiger Tests bspw. für nicht-essentielle Hochrisiko-Aktivitäten wie Reisen in Risikogebiete und Großveranstaltungen tatsächlich eine gangbarere Alternative sein kann, gerade für jüngere Bevölkerungsgruppen.

Was brauchen wir also in der aktuellen Debatte? Stärker als bislang einen großen Strauß an verschiedenen, sich ergänzenden Maßnahmen, die die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gezielt ansprechen und gemeinsam dazu beitragen können, eine echte Impfpflicht überflüssig zu machen.

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