Eine Antwort an Jörg Sauskat

Der auch von uns hoch geachtete Jörg Sauskat, Leiter des Bundestagsbüros von Harald Terpe, hat uns gestern in seiner Antwort auf “EsoterikerInnen bei den Grünen” vorgeworfen, der Text sei “zu pointiert”. Auf diesen und weitere seiner Kritikpunkte möchten wir im Folgenden kurz antworten:

1 Der Text sei “grob vereinfachend” und “zu pointiert”.

Unser Post betont laut Jörg zu sehr die Schwächen der grünen Gesundheitspolitik und vergesse darüber die vielen grünen Vorstöße für mehr evidenzbasierte Entscheidungen im Gesundheitssystem. Es war jedoch nicht unser Ziel, eine Übersicht über die Gesamtheit grüner Gesundheitspolitik der letzten 15 Jahre zu geben. Vielmehr wollten wir gezielt den Blick auf die in unseren Augen dramatischen Auswüchse von Wissenschaftsfeindlichkeit in den Reihen der Grünen, v.a. in führenden Positionen kommentieren.
Gleichwohl spricht Jörg damit einen interessanten Punkt an: Das Nebeneinander in der aktuellen grünen Gesundheitspolitik von einerseits Homöopathie-Förderung und andererseits Stärkung wissenschaftlich fundierter Therapien zeugt von einer großen Ambivalenz. Diese auszuhalten kann eigentlich nur gelingen, wenn grüne Gesundheitspolitik medial nicht wirklich präsent ist und die ihr innewohnenden Widersprüche nicht ausdiskutiert werden müssen.

2 Trotz bereits nachgewiesener Unwirksamkeit alternativmedizinischer Verfahren seien weitere Forschungsgelder für diese Bereiche nicht schädlich.

Im Text habe ich folgende Passage aus dem aktuellen grünen Wahlprogramm kritisiert:

Es sind geeignete Methoden zum Wirksamkeitsnachweis für die Komplementärmedizin als auch andere medizinische Bereiche (z.B. Physio- oder Psychotherapie) zu entwickeln. Dafür sind öffentliche Forschungsgelder zur Verfügung zu stellen.

Zu Beginn: Verstärkte Forschung für die Bereiche Physio- und Psychotherapie aber auch Ergotherapie etc. ist absolut sinnvoll. Komplementärmedizin wiederum umfasst eine Vielzahl von verschiedenen Therapien, für die teilweise, z.B. für Johanniskraut in hohen Dosierungen bei Depression eine klinische Wirksamkeit bewiesen ist. Im folgenden geht es nur um Bereiche mit nachgewiesener Unwirksamkeit, z.B. Homöopathie:

Jörg meint, dass trotz bereits nachgewiesener Unwirksamkeit weitere Forschungsgelder für diese Bereiche ohne größeren Schaden ausgegeben werden können. Dem möchte ich deutlich widersprechen:

  • Die Zahl öffentlicher Gelder für medizinische Forschung ist knapp. Gelder, die für Projekte ausgegeben werden bei denen keinerlei Wissenszuwachs zu erwarten ist fehlen in der Erforschung jener Erkrankungen, bei denen immer noch aufgrund mangelnden Wissens und fehlender Therapieoptionen großes Leid für die Betroffenen entsteht. Es ist aus diesem Grund unethisch, begrenzte öffentliche Gelder in dieser Form falsch zu verteilen.
  • Klinische Studien bedeuten für die teilnehmenden PatientInnen einen deutlichen Mehraufwand. Sie sind aus diesem Grund nur zu rechtfertigen, wenn ein Erkenntniszugewinn zumindest wahrscheinlich ist und PatientInnen durch eine Teilnahme kein Schaden entsteht. Führt man klinische Studien durch deren Ergebnis schon vorhersehbar ist, ist der damit verbundene Mehraufwand für die PatientInnen nicht mehr vertretbar.
  • Die Anforderungen an einen Wirksamkeitsnachweis für medizinische Therapien sind klar definiert: Es sind mehrere klinische Studien mit Kontrollgruppe, die verblindet und randomisiert mit einer ausreichend hohen TeilnehmerInnenzahl durchgeführt werden müssen. Egal welche Therapieprinzipien zugrunde liegt: Falls eine signifikante Wirksamkeit besteht, wird sie sich in derart durchgeführten Studien herausstellen. Deswegen kann es keine für Komplementärmedizin “geeignete oder ungeeignete” Wirksamkeitsnachweise geben, die es erst noch zu erforschen gäbe.
  • Jörg meint, solche Studien könnten zwar keine zusätzlichen Aussagen zur Wirksamkeit generieren, nebenbei jedoch neue Erkenntnisse zu Aspekten wie Therapieakzeptanz oder Therapietreue von PatientInnen ermöglichen. Auch dem muss ich widersprechen: Forschung zum Thema Therapietreue ist wichtig und wird derzeit ohnehin in hohem Maße durchgeführt in Form von Studien, bei denen primär die Frage nach den bestimmenden Faktoren für eine hohe Therapietreue untersucht wird. Niemand braucht hingegen Studien, die nur als Nebenaspekt relevante Fragen untersuchen.

3 Wahltarife der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die beispielsweise Homöopathie und Eigenharntherapie auf Kosten der Solidargemeinschaft finanzieren, ließen die Tarife der gesetzlichen Krankenversicherer sinken.

Jörg argumentiert, dass die Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung zwar Praktiken erstatteten, die nachweislich nicht wirksam seien, dass jedoch insgesamt aufgrund der Wahltarife sich mehr GutverdienerInnen für die gesetzliche statt der privaten Krankenversicherung entschieden und damit die Wahltarife dabei helfen würden, die Beiträge in der GKV niedrig zu halten.

Es ist schwierig, eine derartige Aussage über Versicherte zu validieren. Vor dem Hintergrund jedoch, dass für Einkommen über der Beitragsbemessungsgrundlage die monatlichen Einsparungen im PKV-Tarif zum Zeitpunkt der Entscheidung in jungem Alter deutlich höher liegen als die in diesem Alter anfallenden Kosten für alternative Heilmethoden scheint eine Entscheidung gegen die PKV allein aufgrund der Wahltarife wenig plausibel.

4 Evidenzbasierte Medizin (EBM) als Medizin auf der Grundlage wissenschaftlich erwiesener Wirksamkeit sei nicht durch die politische Akzeptanz von Homöopathie etc. gefährdet sondern vielmehr durch die ÄrztInnen, die sich aus ökonomischen Interessen gegen sie zur Wehr setzten.

Evidenzbasierte Medizin ist eine relativ neue Erscheinung in der Medizin. Vor allem ältere MedizinerInnen fühlen sich dadurch nicht etwa geholfen in der klinischen Entscheidungsfindung, sondern eingeschränkt in ihrer “Therapiefreiheit”. Diese MedizinerInnen werden mit der Zeit aussterben. Die Organe der Selbstverwaltung aber werden aktuell noch von ihnen dominiert. Aus diesem Grund stellen sie mit ihren Forderungen tatsächlich eine Gefahr für eine schnelle Durchsetzung der EBM dar. Gerade PolitikerInnen aber, die mehr wissenschaftliche Fundierung für medizinische Entscheidungen durchsetzen wollen dürfen sich gegenüber ÄrztInnenvertretungen und Industrie nicht selbst angreifbar machen und ihre Glaubwürdigkeit massiv schwächen, indem sie die eigene Forderung nach mehr Wissenschaftlichkeit ignorieren sobald es um Homöopathie geht.

Eine Gefahr für mehr Evidenz in der Medizin besteht zweifelsohne im Egoismus, der Ignoranz und Arroganz der ÄrztInnen sowie den ökonomischen Interessen der Industrie. Eine andere aber ist die Wissenschaftsfeindlichkeit bei einigen der zuständigen PolitikerInnen. Beides ist nicht hinnehmbar.

3 thoughts on “Eine Antwort an Jörg Sauskat”

  1. Ich bezweifle, dass die vermeindliche “Wissenschaftsfeindlichkeit” “dramatische Auswüchse” hat. Klar, wie man zu wissenschaftlichen Methoden steht ist eine Haltungsfrage. Die meisten Grünen stehen dazu, viel stärker als auch in anderen Parteien. Insgesamt würde ich aber auch nicht bei Homöopathie-Befürworter*innen davon ausgehen, dass sie per se “wissenschaftsfeindlich” sind, sondern beim Bereich Komplementärmedizin einfach nicht diese Maßstäbe anlegen, sondern durch die persönliche “Erfahrung” (der Kommentar wird zum Bullshit-Bingo sorry) geblendet/igonorant sind. Dass hat was von Religiosität: der Mechanismus ist ähnlich, Ausblendung der Wissenschaftlichkeit auf bestimmten Bereichen.

  2. Fein. 🙂
    Ich kann mit fast allem leben. Allerdings habt Ihr mich bei den Forschungsfragen falsch verstanden oder ich habe mich missverständlich ausgedrückt.
    Ich bin nicht dafür, Dinge die bereits geklärt sind, immer wieder neu zu untersuchen. Dass die Erde keine Scheibe ist, dürfte inzwischen hinlänglich belegt sein. Dies gilt ebenso für die Homöopathie. Nur ist das Feld der Komplementärmedizin eben größer und umfasst mehr als nur die Homöopathie. Selbst wenn man die gesamte Komplementärmedizin für Humbug hält, muss man dies Methode für Methode wissenschaftlich belegen – auch um bessere Aussagen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis einzelner Methoden treffen zu können (siehe Johanniskraut).

    Ich wollte mir das Beispiel Akupunktur ja eigentlich klemmen, komme aber nun doch nochmal darauf zurück. Gemessen an den strengen Maßstäben der evidenzbasierten Medizin ist Akupunktur im Vergleich zu einer Arneimitteltherapie wirksam (gemessen am Gesundheitsnutzen). Natürlich wissen wir, dass das Ergebnis der gleichen Studien war, dass die Akupunktur dabei nicht wirksamer als ein Placebo ist (es spielte keine Rolle, ob schulbuchmäßig oder wild drauf los genadelt wurde). Was tut man nun aber mit einem solchen Ergebnis?

    Eine andere Frage ist die, ob es angesichts der (vor allem wegen der Verschwendung der MIttel für die “personalisierte Medizin”) ohnehin geringen öffentlichen Mittel für Gesundheits- und Versorgungsforschung nicht besser ist, das Geld anderweitig einzusetzen – zum Beispiel für echte Versorgungsforschung. Darüber kann man streiten.

    Zu den Bedrohungen der evidenzbasierten Medizin: Das ist keine kulturelle Frage, die sich im Zeitablauf dadurch klärt, dass die in der Regel alten Herren irgendwann in den Ruhestand gehen. Es ist eine ökonomische Frage, die jederzeit neu ausgefochten werden muss, wie die oftmals schräge Diskussion ums Amnog gezeigt hat. Es gibt diese Diskussion auch bei neuen Methoden im Krankenhaus, wo wir eben noch nicht auf dem Stand sind, das nur nutzenbewertete Methoden in die breite Anwendung gegen, es gibt sie bei den Medizinprodukten etc. Ihr mögt das anders sehen, aber die reale Bedrohung der evidenzbasierten Medizin entsteht nicht durch ein paar Kügelchensätze im grünen Parteiprogramm (so kritikwürdig die auch sein mögen).

    Evidenzbasierung muss immer wieder neu verteidigt werden, vor allem gegen ökonomische Interessen. Allerdings bin ich auch dafür, die Diskussion bei den Grünen über die von Euch zu Recht kritisierte Ambivalenz endlich mal zu führen. Für diesen Anstoß sei Euch gedankt!

  3. Pingback: Waschbärpower » Kügelchen und grüne Gesundheitspolitik

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